18.09.2025, 14:00
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DZB Gespräch: Decrement-Indizes haben ihre Vorteile

Decrement-Indizes erleben am deutschen Zertifikatemarkt einen Siegeszug. Die Idee: Statt Express- oder Kapitalschutzzertifikate an einen Kursindex zu knüpfen, bei dem die Dividenden fehlen, wird für sie ein neuer Index geschaffen. Dafür ziehen die Konstrukteure dem Originalindex stetig und konstant einen fixen Prozentsatz ab. Sind Decrements also die „besseren Dividenden“? Gibt es Fallstricke? Der ehemalige Händler und heutige Dozent Eric Barthe hat ein Buch darüber geschrieben und liefert die Antworten


Eric Barthe, Autor und Dozent mit langjahriger Praxiserfahrung
Eric Barthe ist Experte für strukturierte Produkte mit über zwanzig Jahren Front-Office-Erfahrung. Seine Karriere begann er als Händler für exotische Optionen bei Goldman Sachs. Später war er Global Head of Financial Engineering bei Leonteq. Er leitete Handelsund Strukturierungsteams und entwickelte innovative Auszahlungsstrukturen. Parallel dazu engagierte sich Barthe in der akademischen Lehre. Er war Dozent für Financial Engineering in Paris und unterrichtet derzeit Aktienderivate und strukturierte Produkte an der EDHEC Business School. Barthe hat einen Doktortitel in Finanzwissenschaften und verschiedene Masterabschlüsse. Er ist Gründer des Institute of Derivatives, einer P
lattform für Derivate-Weiterbildung. Im Jahr 2023 erschien sein Buch über Decrement-Indizes.


Decrement-Indizes gibt es in Europa noch nicht allzu lange. Wann und warum sind die synthetischen Indizes aufgekommen?
Decrement-Indizes tauchten erstmals Mitte der 2010er Jahre in Europa auf, wurden jedoch insbesondere seit 2020 in Frankreich sehr prominent. Das Jahr 2020 war ein echter Wendepunkt in der Verbreitung von Decrement- Indizes. Während der Covid-Krise und den damit einhergehenden massiven Dividendenkürzungen erlitten einige Banken erhebliche Verluste in ihren exotischen Büchern, da sich Risiken auf langlaufende Autocall-Produkte aufgestaut hatten (Anmerkung der Redaktion: diese werden am deutschen Markt als „Expresszertifikate“ angeboten). Seither setzen Banken verstärkt auf Decrement-Indizes anstelle klassischer Indizes. Denn ein Decrement-Index birgt für die Bank nahezu kein Dividendenrisiko, und die Höhe des Decrements kann auf einem Niveau festgelegt werden, das hoch genug ist, um strukturierte Produkte optisch attraktiver zu machen – zum Beispiel durch höhere Kupons oder tiefere Barrieren. Beispielsweise kann ein Decrement auf europäische Aktien auf 5,0 Prozent festgesetzt werden, während die tatsächlich gezahlte Dividende europäischer Aktien historisch eher bei 2,50 bis 3,00 Prozent liegt. Ein solcher Decrement-Index bietet den genannten doppelten Vorteil: kein Dividendenrisiko für die Bank (die Dividendenrendite beträgt konstruktionsbedingt immer 5 Prozent) und die Möglichkeit, bei strukturierten Produkten bessere Konditionen bieten zu können als bei klassischen Indizes.

Das zeigt die Vorteile für Investmentbanken. Doch profitieren auch Anleger?

Auch hier bietet der Decrement-Index zwei Vorteile: kein Dividendenrisiko und oft eine höhere (festgelegte) Dividendenrendite. Der Wegfall des Dividendenrisikos kommt dem Anleger zugute, da die Bank keinen Abschlag mehr auf unbekannte zukünftige Dividenden anwenden muss – diese sind ja durch das Decrement fixiert. Eine höhere Decrement-Rendite (z. B. 5 Prozent) bedeutet oft vergleichsweise starke Konditionen bei strukturierten Wertpapieren, die diesen Index als Basiswert nutzen. Allerdings hat dies auch zur Folge, dass der Decrement-Index den Referenzindex „underperformt“. Je nach Art des strukturierten Produkts kann diese Underperformance – trotz optisch besserer Konditionen – das eingesetzte Kapital des Anlegers gefährden.

Gibt es weitere Risiken? Was sollten Anleger noch über Decrement-Indizes wissen?
Der Nachteil liegt darin, dass der zugrunde liegende Index keinen realwirtschaftlichen Bezug hat – es handelt sich um einen vollständig synthetischen Index. Wird der Decrement-Abzug in etwa auf Höhe der tatsächlichen künftigen Dividenden angesetzt (was man erst im Nachhinein weiß), ist die Entwicklung ähnlich der des echten Index. Andernfalls kommt es mit der Zeit zu einer zunehmenden Abweichung. Außerdem passen reale Unternehmen ihre Dividendenpolitik stets an das wirtschaftliche Umfeld an – Decrement-Indizes hingegen nicht. In einer Rezession beispielsweise sinken sowohl Aktienkurse als auch die Dividenden der Unternehmen. Der Decrement-Index würde seine Ausschüttung dennoch konstant beibehalten. Das kann zu einer massiven Underperformance führen.

Wie wird die Höhe der Decrement-Abzüge eigentlich bestimmt?
Einerseits gilt: je höher der Decrement- Abzug, desto besser die Konditionen des strukturierten Produkts. Andererseits muss die historische Performance des Decrement- Index noch plausibel bleiben. Ein zu hohes Decrement würde die vergangene Wertentwicklung zu stark beeinträchtigen. In der Praxis liegen Decrement-Werte derzeit meist zwischen 4,50 und 6,00 Prozent.

Für welche strukturierten Produkte eignen sich Decrement-Indizes besonders gut und was ist der Grund dafür?
Das Produkt muss eine ausreichend lange Laufzeit haben, damit sich der Preisvorteil durch den Decrement-Abzug auszahlt – typisch sind daher Autocallables mit Laufzeiten ab fünf Jahren. Auch für langlaufende Kapitalschutzanleihen könnten sie infrage kommen. Da Decrement-Indizes zu niedrigeren Forward-Werten und gleichzeitig niedrigerer impliziter Volatilität tendieren, sind die für Kapitalschutzanleihen benötigten Call-Optionen günstiger zu haben.

Warum werden Decrement-Indizes kaum für bekannte Standardindizes wie Euro Stoxx 50 oder Dax verwendet, sondern eher für Spezialindizes, die die Emittenten selbst entwickeln?
Banken versuchen, sich voneinander abzuheben, indem sie Produkte auf unterschiedliche Basiswerte anbieten. Deshalb sehen viele Banken keinen Mehrwert mehr darin, Decrement-Versionen von Euro Stoxx 50 oder Dax zu pushen. Zudem ist bei derart bekannten Benchmarks die Performance (bzw. Underperformance) des Decrement-Index im Vergleich zum Original sehr offensichtlich. Derzeit sind die meisten Decrement- Indizes thematisch orientiert: Biodiversität, Banken, Technologie und viele mehr. Da Decrement-Indizes das Dividendenrisiko ausschließen, ermöglichen sie es Banken, strukturierte Produkte auf Themen zu bauen, die zuvor schwer abzusichern waren.

Wie schätzen Sie die künftige Entwicklung von Angebot und Nachfrage für Decrement- Indizes in Europa ein?
Ich denke, prozentuale Decrements werden sich dort weiterentwickeln, wo Nachfrage nach mittel- bis langfristigen Produkten besteht. Bei absoluten (punktbasierten) Decrements bin ich zurückhaltender: Deren Performance kann bei seitwärts oder abwärts tendierenden Märkten stark leiden. Die meisten Decrement-Indizes wurden nach 2020 eingeführt. Seitdem haben sich die Märkte insgesamt positiv entwickelt.

Die „punktbasierten“ Decrements sind in Deutschland unüblich. Können Sie dieses Vorgehen kurz erläutern?
Bei einem punktbasierten Decrement-Index wird der Abzug nicht in Prozent berechnet. Stattdessen wird eine fixe Höhe an Indexpunkten vom Original-Index abgezogen. Das kann besonders bei Einzelaktien gefährlich sein. Zwar orientieren sich Unternehmen bei ihrer Dividendenpolitik oft an absoluten Werten, die sie stabil halten wollen. Insofern erscheint ein fester Decrement- Wert bei Einzelaktien realitätsnah. Doch in Krisenzeiten kürzen Unternehmen ihre Dividenden drastisch – meist nach einem Kursverfall. Ein Beispiel: Bayer kürzte 2024 nach einem Kursrückgang von 50 Prozent innerhalb von zwölf Monaten seine Dividende um 95 Prozent auf 0,11 Euro. Der Decrement-Bayer-Index hingegen zog weiterhin konstruktionsbedingt eine „Dividende“ ab, die 20-mal höher war. Ein weiteres Beispiel: Stellantis war 2024 in Frankreich ein Bestseller als Autocall-Basiswert in seiner Decrement-Version. Das Unternehmen zahlte 2024 eine Dividende von 1,55 Euro. Viele Stellantis-Decrement-Produkte wurden mit einem fixen Decrement von 1,55 Punkten emittiert. Inzwischen fiel die Aktie aber unter 8 Euro. Das heißt: Der Stellantis-Decrement-Index basierte nun auf einer Aktie, die rund 8 Euro wert ist, aber weiterhin jährlich 1,55 Euro „ausschüttet“. Das kann auf Dauer nicht gutgehen.

Welche Auswirkungen kann das auf strukturierte Produkte haben?
Bei gleichem Ausgangsniveau des Decrements (z. B. 50 Punkte vs. 5 Prozent bei einem Indexstand von 1.000) ermöglicht der 50-Punkte-Abzug eine bessere Preisstellung bei strukturierten Produkten (z. B. höhere Kupons oder niedrigere Barrieren bei Autocallables). Zudem wird der 50-Punkte- Decrement-Index bei steigenden Märkten besser performen, da seine „Dividende“ konstant bleibt – während der 5-Prozent- Decrement-Index bei steigendem Indexkurs eine immer größere Dividende abzieht. Bei steigenden Märkten wird das Produkt aber ohnehin frühzeitig durch den Autocall- Mechanismus zurückgezahlt. Der Anleger profitiert also nicht vom Mehrertrag. Umgekehrt gilt jedoch: Bei fallenden Märkten schneidet der Punkt-Decrement schlechter ab, gleichzeitig bleibt der Autocall in diesem Szenario aktiv. Das Risiko für den Anleger: Das Produkt läuft weiter und die Barriere könnte unterschritten werden.

Sie hatten Bayer und Stellantis angesprochen. Werden also auch einzelne Aktien mit Decrements versehen?
Ja, in Frankreich machen Einzelaktien mit Decrement aktuell etwa 20 Prozent des gesamten Decrement-Volumens am Markt aus. Um der lokalen Nachfrage zu entsprechen, handelt es sich dabei überwiegend um französische Aktien.  


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